Mahmood Darwish

Günther Orth

Zwillinge hast du: Prosa und Poesie vereinen sich bei dir, und du
fliegst von Zeitraum zu Zeitraum, wohlbehalten und heil
auf einer Sänfte aus den Planeten deiner Toten – deine guten Wächter
welche deine sieben Himmel Karawane für Karawane weitertragen.
Deine Pferdeknechte im Palmenwald, der auf deinen Händen und an deinen beiden Flüssen wächst,
nähern sich dem Wasser: „Ganz aus Wasser ist die erste Göttin geschaffen“
Ein verliebter Schöpfer betrachtet seine Werk, lässt sich davon bezaubern
und verzehrt sich danach: Sollte ich‘s nicht noch einmal tun?
Die Schriftsteller deines Blitzes verbrennen in der Himmelstinte, und ihre Nachkommen
lassen Schwalben fliegen im Prozessionszug der Sumererin
ob diese nun aufsteigt oder niedersteigt

Du, wie du daliegst im Empfangssaal,
mit deinem rankengemusterten Hemd und der grauen
Hose, für dich, nicht für deine Metapher, entfache ich
meine Wildnis, und sage zu mir selbst:
Aus meiner Dunkelheit wird sich ein Mond erheben...

Lass das Wasser vom sumerischen Horizont herabfließen
zu uns, wie es in den alten Sagen war. Wenn
mein Herz gesund ist wie dieses Glas, das uns umgibt
dann fülle es mit deinen Wolken, auf dass es umwölkt
und verträumt wie das Gebet eines Armen
zurückkehren kann zu seinen Angehörigen. Wenn mein Herz aber
verletzt ist, so durchbohre es nicht mit dem Horn der Gazelle,
denn am Euphrat wachsen keine wilden Blumen mehr,
weil mein Blut seit den Kriegen in die Anemonen eingeflossen ist.
In meinem Tempel ist kein Krug mehr für den Wein der Göttinnen
im ewigen Sumer , im entschwindenden Sumer

Du, wie du schlank im Empfangssaal stehst
mit deinen samtenen Händen
und der verspielten Taille, dir, nicht deinen Symbolen,
entfache ich meine Wildnis, und sage:
Ich werde diese Gazelle ihrer Herde entreißen
und mich selbst... mit ihr durchbohren.

Ich möchte nicht, dass ein Lied deine Bettstatt ist,
möge der Stier, der geflügelte Stier des Irak,
seine Hörner mit dem Lauf der Zeit blank reiben
mit dem rissigen Tempel im Silber der Morgendämmerung.
Möge der Tod sein metallenes Werkzeug im Trupp der
alten Chorsänger zu Nebukadnezars Sonne tragen.
Ich aber, Abkömmling einer anderen Zeit, brauche
ein Pferd, welches dieser Vermählung würdig ist.
Und wenn es denn einen Mond braucht, so soll er hoch sein, hoch,
und in Bagdad gemacht, nicht arabisch und nicht persisch,
ein Mond, den die Göttinnen um uns herum nicht einfordern. Frei soll er sein
von Erinnerungen und vom Wein der alten Könige,
auf dass wir diese heilige Hochzeit vollenden, du Tochter
des ewigen Mondes, hier an diesem Platz, den deine Hände
am Rande der Welt vom Balkon des untergehenden Paradieses herabgeholt haben.

Du, wie du die Zeitung im Empfangssaal liest,
du Grippekranke,
dir sage ich: Trink ein Glas heißer Kamille
und nimm zwei Aspirin
damit Innanas Milch in dir zur Ruhe kommt
und wir erfahren, in welcher Zeit wir leben
da wo die beiden Flüsse sich vereinen.

Eine Wolke aus Sodom

Nach der Nacht mit dir, der Nacht des letzten Winters
war die Nachtpatrouille an der Straße am Meer verschwunden
Kein Schatten mehr, der mir folgt, seit die Nacht mit dir in der Sonne meines Liedes trocknete.
Wer sagt nun zu mir:
Lass das Gestern fahren, und träume ganz
unbewusst und frei?
Meine Freiheit sitzt in meiner Nähe, neben mir,
auf meinen Knien wie eine Schmusekatze. Sie lässt ihren Blick nicht
von mir und dem, was du mir vom Gestern gelassen hast: Dein
fliederfarbener Schal, Videobänder vom Tanz unter Wölfen und Ketten
aus Jasminblüten auf dem Moos des Herzens...

Was soll sie tun, meine Freiheit, nach der Nacht mit dir,
der Nacht des letzten Winters?
Eine Wolke aus Sodom zog nach Babylon
vor hunderten von Jahren, doch ihr Dichter Paul
Celan nahm sich heute im Fluss von Paris das Leben.
Du wirst mich nicht mehr mitnehmen zum Fluss. Kein
Wachhabender wird mich mehr fragen: Wie heißen Sie heute? Wir werden
den Krieg nicht mehr verfluchen, und auch nicht den Frieden.
Wir werden nicht mehr über die Mauer des Parks steigen, um die Nacht
zwischen zwei Weiden und zwei Fenstern zu suchen, du wirst mich
nicht mehr fragen: Wann wird der Frieden den Tauben unsere
Burgtore öffnen?

Nach der Nacht mit dir, der Nacht des letzten Winters
errichteten die Soldaten ihr Lager weit weg
und ein weißer Mond setzte sich auf meinen Balkon
Ich setzte mich mit meiner Freiheit schweigend hin
und wir starrten in unsere Nacht
Wer bin ich? Wer bin ich nach der Nacht mit dir,
der Nacht des letzten Winters?

Ich habe niemanden erwartet

Wo immer dich der Wind hinträgt, ich werde wissen,
wie ich dich zurückholen kann. Ich kenne selbst deinen entferntesten Punkt.
Geh also, wie die Erinnerungen an ihren ewigen Brunnen ziehen,
du wirst doch die Sumererin nicht finden, die auf dich wartet und
einen Krug voll Echo trägt.

Ich aber, ich werde wissen, wie ich dich zurückholen kann.
Geh also, lass die Flöten der alten Seevölker dich leiten
und die Salzkarawane auf ihrem endlosen Zug. Geh,
deine Hymne entgleitet mir und dir und meiner Zeit
und sucht sich ein neues Pferd, das ihren freien Rhythmus zum Tanzen
bringt. Du wirst nicht das Unmögliche finden, wie es war, als
ich dich fand, als ich dich einst aus meiner Begierde geboren habe
während ich dasaß und dich erwartete.

Ich aber, ich werde wissen, wie ich dich zurückholen kann,
geh mit dem Fluss von Schicksal zu Schicksal,
der Wind ist bereit, dich von meinem Mond herunterzuholen,
das letzte Gespräch auf meinem Baum ist bereit,
hinunterzufallen auf den Trocadero-Platz. Sieh
dich um, finde den Traum, geh nach Belieben
Richtung Osten oder Westen, es wird doch nur dein Exil verschlimmern
und mich einen Schritt weiter von meinem Bett entfernen und
von einem der Himmel meiner traurigen Seele. Das Ende
ist das Geschwister des Anfangs, geh also, du wirst nur
das vorfinden, was du hier zurückgelassen hast.

Ich habe dich nicht erwartet, ich habe niemanden erwartet.
Ich kämmte mir die Haare ganz langsam, ich konnte nicht anders,
ich tat es wie eine einsame Frau bei Nacht, und musste mich neu arrangieren.
Ich musste das Eau de Cologne auf dem Marmor entzweischlagen und mir
verbieten auf mich selbst zu achten im Winter,
als sagte ich zu ihr: Wärme mich, ich wärme dich, meine Frau,
achte auf deine Hände, was sollen sie dir nützen, wenn der Himmel
auf die Erde fällt, oder diese sich zum Himmel erhebt,
achte auf deine Hände, damit sie dich tragen können: „Deine Hände
sind deine Herren“, wie Eluard sagte... Geh also,
ich möchte es oder möchte es nicht.

Ich habe dich nicht erwartet, ich habe niemanden erwartet.
Ich musste den Wein in zwei zerbrochene Gläser schenken
und mir verbieten auf mich selbst zu achten,
während ich dich erwartete!