Saniah Salih
(Syrien, ,1935 - 1986)

Sie graben die Zukunft aus den Eingeweiden des Sandes, und st?ndig wechseln sie Alter und Stimmung,
um zu sehen, wohin die Zeit geht, die sie lieben,
oder sie reisen in Flammen,
deren Zungen einem einzelnen Jagdhund
von Wundern erz?hlen;
dies ist das t?gliche Ritual zur Befreiung der Zellen. Eine Frau aus Kreide
umarmt Liebhaber aus Sand,
ohne die Verlustrechnung aufzustellen
oder Trauer und Schmerz zu bedenken.
Sie durchquert Stürme,
steigt in Schnellzüge
und taucht mit der Sturheit Bezwungener,
mit der Gier der Verarmten
in den Bauch des Begehrens.
Wie Rauch steigt ihr Keuchen
aus Adern und Gassen auf.
Ver?ngstigten Dieben gleich
entl?dt sie ihre Fracht aus Tr?umen und Wünschen.

Wie gelangen Frühling und Liebe in einen K?rper,
den der Verlust beherrscht?
Wie wird das Wort aus dem zugepre?ten Mund gerissen,
wenn das Unglück eine Kugel ist, die von imagin?ren
Menschen abgeschossen wird?
Voller Jagdeifer qu?len sie das Herz,
und sie folgt ihnen in H?hlen,
- Izo -

und Kreide br?ckelt von ihr ab;
W?lder aus Dornen brechen hervor,
und die Nachtigallen lassen ihre Schleier fallen;
die Kinder rennen mit ihren kurzen Pluderhosen los,
die Kindheit verlassend,
und wechseln st?ndig Alter und Stimmung,
sie schreien,
ein Herz hier, eins dort,
und Züge fahren sie aus dem Wahn des Windes,
aus den Freuden des Feuers.
So war es früher,
aber die Lippen sind rostig geworden,
angerostet ist das Wort,
und die Tinte der Meisterwerke ist vertrocknet.

Ein verheerender Liebhaber

Als Unterlegene
wird die Geliebte
aus ihrer langen Nacht
durch die Mündung der Schornsteine entlassen;
mit ihren Kindern und Pferden
ergibt sie sich dem Wind.
Eine Meute blutrünstiger Liebhaber
macht Jagd auf sie.
- Gebt acht, ihr Liebhaber, sonst werde ich zerrissen: Ich bin die mehrfache Frau,
ich wurde geschaffen für die gro?e Jagd
aus dem Geschlecht der unterlegenen Geliebten.
Wir steigen zu den ?fen des Daseins herab und schütten unser Sternenfeuer hinein,
entdecken unser befristetes Reich
und unsere geplünderte Weisheit,
wir st?hnen wie bei der Geburt.
Los, hetzt mich!
Jagt mich wie die mythischen Recken
auf ihren marmornen Pferden,
jagt mich im Glauben und in Ketzerei,
jagt mich in den Niederlagen,
im Versagen des Gliedes und im Zucken der Muskeln, jagt mich im Innersten der B?ume,
im Auge der st?hlernen Stürme,
wo ich mich verberge
wie die Frauen in alten Geschichten.
Die Fenster der Trennung blicken einander an,
und das Wort bohrt sich zwischen sie wie ein Blitz.
O verheerender Liebhaber,
du hast mich gespalten wie ein Orkan,
ich fiel in die Ritzen des Morgengrauens,
und in meinem Abgrund erstrahlte der Wahn.

Sie nagen an mir, als herrschte Hungersnot

Ich spreche wahr,
aber niemand will mein Elend glauben.
Heidnische G?tzen nagen an mir,
wie der Ha? in Kriegen nagt,
oder als w?re ich ein Bissen Brot in Hungersn?ten. Der Wahnsinn kreist in der Luft,
und eine imagin?re Oper zu Ehren
der Elenden Hugos oder Dostojewskis
kreischt wie ein Spa?vogel über den K?pfen Trauernder.

Gibt es jemanden, der sie in ihr stummes Exil zurück- bringt,
oder müssen sie
auf ihren Fü?en ohne Knochen fliehen?
Seit der Steinzeit fliegen ununterbrochen Geschosse - überwinden wir den Engpa? der Geburt,
damit die Nacht uns abschüttelt wie mit einem Peitschen hieb?
Wir rotten alle Sprachen aus,
und die Sorgen verwandeln sich im Kopf in Granit
und im Herz in Felsen.
Ich betrüge die Himmelsrichtungen alle
und t?usche die Katastrophe,
ich ergreife meine Seele und entlasse sie durch das Fenster ins Freie
wie die Taube, die nicht wiederkehrt.


Millionen Frauen sind deine Mutter

o Wald, den mein K?rper in Brand gesetzt hat,
Komm n?her,
überwinde das Unüberwindliche,
wispere dein begrabenes Rauschen in meinen Mund,
m mein Ohr,
in alle meine Poren.
Lüfte den Schleier deines Aufbegehrens
und erblühe
unter der durchl?cherten Kuppel eines verfallenden K?rpers.
Ist der Winter nicht streng? Und die Zeit
und der Schnee, der Regen und die Stürme?
Aber, ach, wie sch?n ist es, wenn sie überstanden sind!
Ich wu?te nicht, da? das Vergessen zwei Beine hat, trotzdem l?uft es hin und her wie ein wildes Pferd,
in der Erwartung, da? die bronzene Rose
von oben aus den Zweigen f?llt.
Wenn sie auf seinem Rücken landet,
fliegt es nait ihr davon,
oder es zertrampelt sie unter seinen Hufen.
O Wald, der in meinem K?rper erblüht,
Fürchte dich nicht,
ich habe meine Seele versteckt
in dir oder zwischen zwei Teilen, die so stark sind wie Heere
kwenn auch die Heere uns nicht kennen noch beachten). Versenk deinen Kopf in mir,
durchbohre mich,
bis unsere Knochen ineinander verschmelzen.
Seien wir Nachbarn,
verbunden wie die beiden Kammern des Herzens. Berühre mich, wie Gott den Lehm berührt hat,
damit ich wie die Menschheit erstehe.
Wie k?nnte ich fliehen, Liebste,
wenn das Feuer meines Herzens sich in alle Richtungen ausdehnt,
im Reden und im Schweigen,
damit du millionenmal geboren wirst
in den fremdartigsten Jahrhunderten,
o mein blonder Wald,
binde deine Angst an meine Angst,
führe deine Knochen in die Sch?chte meiner Knochen, sammle dann die Reste deines K?rpers und geh vorüber. Vor dir werden lange, enge G?nge auf dich warten,
und im engsten wird die Wahrheit verborgen sein, Vorsicht, vergi? nicht, da? du gehst,
um zu schreien
und dich zu verweigern,
nicht um dich zu verneigen.
Da rücken sie vor, die Geister aus dem Diesseits, versteckt euch
und schaut heimlich durch die Fensterritzen
oder Schlüssell?cher
und klatscht immer Beifall, wenn ein Gott vorbeigeht, oder klettert auf die Brüstung der Lastwagen
und ruft: Das Blut des Mondes ist von seinem Blut,
sein Fleisch ist aus seinem Stoff,
aber wann wirst du kommen, damit ich dir heimlich sage, welcher der wahre Gott ist?
Der grausame Regen spielte Milit?rmusik
und feuerte seine Kugeln auf die Wurzeln
<wie wurdest du inmitten dieser Schlacht geboren?).
O du mein Gott, befiehl dem Tal,
da? es uns zur ursprünglichen Quelle bringe
und dem Berg, er führe uns zum wahren Gipfel,
und wenn die gro?e Finsternis vor der Peitsche flieht,
die Wahrheit auf der Schlachtbank des Henkers kauert, das Alphabet sich umkehrt in tyrannische Gesetze
und die Dichter in Staub auf den Pulten,
werde ich meine Zeit einwickeln und in meiner Brust verstecken.
Wenn ich dann meinen Schatten s?he, glaubte ich, ich kr?che,
um am trockenen Brot der Hungersnot zu nagen,
aber zwei Fü?e aus Stein k?nnen nicht schreiten.
Dieser Mittag ist wie Zement,
S?bel aus Frost, die Glieder abhacken,


Seelen mit dem Geschmack von Brot, auf denen die Luft kaut,
Millionen nackter Frauen, die sich im Regen waschen und sich der Sintflut ergeben.
Millionen Frauen sind deine Mutter, meine Kleine,
sie l?sen den Faden des Horizonts,
damit der Tod wie der Schlaf nur befristet ist.
La? uns die Sklaven und Entrechteten exhumieren
und die Herren des Hungers begraben,
die Quellen ?ffnen ihren wei?en Mund
und sto?en ihren gequ?lten Schrei aus
kund den schauerlichen Abschied der Seelek.
Trotzdem lassen die Quellen in ihren Spuren
Geranien und damaszener Rosen zurück.
Die Vorübergehenden rufen:
Unsere Seelen wurden vergewaltigt
und mit gef?lschten Dokumenten
auf fremde Brüste verteilt.
Die Flut gebar sie wie eine Frau,
doch sie sind nicht die Kinder dieser hohen W?lder, Jahrhunderte schliefen sie im Bett der Flut,
und doch geb?rten sie nicht.
Welche j?hzornige Kraft
rei?t die F?ten rücksichtslos aus unseren B?uchen?
La?t die Flut
das Bett unserer Einsamkeit weben.
Was macht ihr Tier, wenn es strauchelt
und der Winter es mit seinen Flügeln schl?gt wie ein Raubvogel?
In ihrem Leib sind Millionen Wellen,
die uralte Sehnsucht nach der Erde
und die ertrunkenen Matrosen -
mit ihren durchscheinenden Rippen
schreiten sie aus dem Tor der zeitlichen Gew?sser
mit sch?rferem Blick,
sie sagen,
die W?lder, die ins Innere des Meeres eingetreten sind, werden sich wieder belauben, denn ihr Herz stirbt nicht. So also, wenn die Zeit ihre Tür vor allen verschlie?t, betrete ich ergeben den Zug des Todes,
halte den Faden der Verborgenheit fest und ziehe an ihm, bis mein imagin?res Selbst erscheint,
dies Selbst, von der Geb?rmutter der Spiegel zur Welt gebracht
mit ihren dunklen, fürchterlichen Worten,
doch die ?ngstlichen K?rper sondern aus, was sie rettete. Da ?ffnet sich das Tor des Friedens
zwischen Erde und Paradies.
Das Leben allein nimmt uns fort und bringt uns zurück, der Tod benahm sich wie ein Held,
und die Würmer starben aus.
Der menschliche S?ein barst entzwei,
um neue Geschlechter zu geb?ren,
ich aber,
ich sperre die fruchtbaren Eier
in meiner Geb?rmutter ein,
damit sie auf diese Weise leben k?nnen, jungfr?ulich, damit nicht zwischen Kugeln eingepfercht wird der Frühling.

Damaskus (1985/19881


Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaulnahme
Die Farbe der Ferne : moderne arabische Dichtung / hrsg. und übers. von Stefan Weidner. - München : Beck, 1000
(Neue orientalische Bibliothek)
ISBN 3-406-45860-1