Adel Karasholi

Also sprach Abdulla zu mir
Du bist nicht mehr du denn wärest du du selbst
Könntest du nicht hinnehmen was du hinnimmst
Und er sprach
Wer die Wurzel verliert verliert die Frucht
Und wer die Frucht verliert verliert die Wurzel
Doch wisse die Wurzel ohne Frucht ist unfruchtbar
Und Unfruchtbarkeit ist so trocken wie Stein
Und er sprach
Schlage eine Wurzel
So gründest du dir ein Vaterland
Denn wer kein Vaterland hat in einem Vaterland
Hat keine Wurzel
Und wer keine Wurzel hat trägt keine Frucht
Wer aber keine Frucht trägt
Ist allein und verlassen
Wie ein abgetrockneter Zweig
Meine Lippen sagten nichts außer einer Träne
Die dem Auge entfloh

Die Sehnsucht

Und also sprach Abdulla zu mir
Geschlagen bist du an dieses Kreuz
Doch das Kreuz selbst ist dir lieb geworden
Dein Blut rann in seine Ritzen
Du wurdest eins mit ihm wie es eins wurde mit dir
Es kann dir nicht entrinnen wie du ihm nicht entrinnen kannst
Und er sprach
Magdalena salbt dir die Füße mit Ambra
Magdalena labt dich mit einem Tropfen frischen Wassers
Magdalena reicht dir einen Kanten Brot
Und er sprach
Ersticke in deiner Brust die Glut
Bringe zum Schweigen die Sehnsucht in deinen Rippen
Ich aber sprach: Aaach

Die Krallen

Und also sprach Abdulla zu mir
Du bist durstig und deine Brunnen sind versiegt
Denn deine Welt ist bitter wie Koloquinte
Und wie ein Seufzer leise deine Stimme
Und er sprach
Bricht die Quelle nicht aus dem Felsen
Bleibt Sand der Horizont und Hitze
Und in der Hitze der Durst
Und im Durst der Wahn
Und im Wahn der Tod
Und er sprach
Um abzulegen von deiner Welt den Wahn
Brauchst du Krallen
Um den Fels zu spalten
Brauchst du Krallen
Um mit Quellwasser den Sand zu besamen
Brauchst du Krallen
Du aber hast keine Kralle außer deiner Stimme
Und deine Stimme ist leise wie ein Seufzer
Und wie Koloquinte bitter deine Welt

**

Und er sprach
Dein erster Schrei
Spannt schon die Bogensehne
Sendet zu deiner Brust
Des Todes verläßlichen Pfeil
Die Entfernung
Zwischen Schrei
Und Schweigen
Heißt Leben

*

Und er sprach
Zwischen vorzeitlicher Urewigkeit
Und endloser Ewigkeit
Bist die Brücke du
Halte dich den beiden Enden
Nicht fern

*

Ich aber sprach
Grab
Endstation
Der Ratlosigkeit
Aber sprachlos ist die Vollkommenheit
Und wenig Worte kennt der Tod

***


Dialog mit angekündigtem Tod

Er rückt heran - der Tod
Ich sehe ihn
Laß mir Zeit, sag ich,
So viel blieb unvollendet.
Er spricht: Ein anderer vollendet's, irgendwann, bist nicht der einzige auf Erden.
Ich hab Gedichte noch zu schreiben, sag ich.
Er spricht: Ein anderer schreibt sie, wenn du geschieden im frühen Dämmergrau.
Niemand, sag ich, stimmt meine Saiten je wie ich.
Er spricht: Bescheide dich. Der Vers hat keinen Hort, es gibt kein allerletztes Wort.
Aber ich bin das Meer, sag ich, der Tropfen bin ich in der Woge, keine Woge ohne mich, kein Meer.
Er höhnt: Halb Engel bist du, halb Satan. Welche Hälfte ist jetzt dran?
Was weiß denn ich, sag ich, die eignen Worte hab ich längst vergessen

Du fragst,Warum ich dich Minze nenne

Ach
Diese kleine Minze am Bach
Die da plötzlich stand
Vor meinem Gesicht
Ein wenig gebeugt
Fast wollte sie berühren
Zärtlich
Meine Wimpern
Als ich aufwachte im Schatten des
Olivenbaums müde noch
Vom rastlosen Reiten
Auf Felsen und rissigen Äckern
Gejagt von Schlangen und
Vom Verfolger
Sonne 

Einer schwieg nicht
Viele sind es die mich verstehen
Viele die mich nicht verstehen
Obwohl die mich nicht verstehen
Schreien
Schweigen
Die mich verstehen
Ich verstehe die mich nicht verstehen
Wenn sie schreien
Ich verstehe nicht die mich verstehen
Wenn sie schweigen
Weil die mich verstehen schweigen
Muß ich schreien
Weil ich schreie verstehen mich nicht
Die mich verstehen
Einer von denen die mich verstehen
Hörte meinen Angstschrei
Und schwieg nicht
Er wurde überschwiegen

Immerwährende Hoffnung
Vielleicht wäre da noch jemand
Der mich anriefe in dieser Nacht
Eine Brust vielleicht eine warme Haut
Eines Kindes Auge das mich ansieht so wie ich
Ansehen möchte die Welt oder eine Sonnenstraße
Mitten in diesem Augenblick da mir erfror
Meines Aufbruchs stolze Glut
Ein Sisyphus vielleicht der den Stein
Den Berg hinab übermütig rollt oder
Ihn behaut zur Faust ein Prometheus der
Das Feuer nicht läßt aus seiner Hand
Ein Freund der an mich dächte und wüßte
Daß ich Angst hab in dieser Nacht
Der schmiedete gerade jetzt vielleicht
Einen Schild um mich herum aus Freundlichkeit
Und Mut
Der anders wär als dieser
Der auszog
Mit Zahlen nur
In seines Kopfes Papierkorb
Durchzuschneiden die Milchstraße
Meines Flug

Gedichte

Brücken schlagen
Von mir
Zu mir
Des regens Flüstern
Im Ohr der Bäume
Abtasten die Poren der Welt
Im Dunkeln
Noch

Vor-Sicht

Und wie wenn ich geh
Ist die Pappel
Aufrecht zu halten wie
Des Lächelns weiche Haut zu baden
In der Morgensonne am Morgen wie
Zu atmen nicht Moder aufzuatmen
Nach der Sintflut der Sorgen
Auf der Freundin wacher Brust wie
Wenn ich geh kommt
Mir entgegen
Ein heller Tag

Verwurzelung

Im Sowohl-Als-Auch
Verwurzelt sind die Füße
Die Arme gespannt wie eine Saite
Gekreuzigt und Kreuz zugleich
So halt ich mein Gleichgewicht
So schlag ich Wurzeln ins Zentrum der Welt
So erträum ich die Hochzeit
Von Sonne und Schnee 

Der neue Mensch

Und er sprach
Dir wachsen Zähne am Gemüt
Das wilde Tier packt dich an den Schultern
Und schüttelt dich
Dich zu wecken aus tiefem Schlaf
Du aber bist fern den Geheimnissen
Die man dir anlastet
Du bist verfallen dem Takt nach dem du tanzt
In die Hölle hinein
Du singst nicht selbst die Gesänge
Die man dir in den Mund legt
Du bist das wilde Tier
Das dich an den Schultern packt
Und schüttelt und schüttelt und schüttelt

***

Und er sprach
Affen die keine Nuß mehr finden
An einem Baum
Warten bereits darauf
Menschen zu werden

*

Und er sprach
Ordnung der Natur
Gleichgewicht
Überleben des Baumes und der Nachtigall
Sonst
Das Nichts

*

Ich aber sprach
Halte durch Mutter Erde
Frau aus meinem Hauch
Insel
Für einsame Boote
Im All

***

Seiltanz

Und also sprach Abdulla zu mir
Fremde ist zu deiner Rechten
Und zu deiner Linken ist Fremde
Denn du tanzt auf einem Seil
Und er sprach
Die Frage steht der Frage im Wege
Die Antwort der Antwort desgleichen
Denn du tanzt auf einem Seil
Und er sprach
Weder der Osten ist Osten
Noch der Westen Westen in dir
Denn du tanzt auf einem Seil
Und er sprach
Schließe deine Augen
Und laufe so schnell du laufen kannst
Denn du tanzt auf einem Seil

*** 

Und er sprach
Du bist der den du in ihm suchst
Und der den er sucht in dir ist er
Du bleibst du
Und er bleibt er
Mit geballten Flügeln schlägt
An verschlossene Fenster
Der Rabe Trennung

*

Laß das Fremde dich nicht fangen
In seinem Netz
Sieh den andern lange an und langsam
Die Vergänglichkeit des fremden Augenblicks
Greift dann ratlos nicht mehr
Durch dich hindurch

*

Sei einmal ich und sei einmal du
Denn wärest du nur ich
Bin ich allein mir mir
Bliebest du immer nur du
Wärest du das Sandkorn im Wind

*

Atme ein mit allen Poren
Diesen einen Augenblick
Halte die Luft nicht an
Atme ihn aus
Und versprich Welt
Im heiligen Leichtsinn
Deiner Worte

***

Die Brücke

Und also sprach Abdulla zu mir
Auf der Minze bewegt es sich
Auf dem Felsen bewegt es sich
Unter der Brücke bewegt es sich
Dieses Licht der Liebe
Und er sprach
Die Minze erblüht in der Minze
Der Fels ruht im Felsen
Die Brücke dehnt sich aus in der Brücke
Und in der Kindheit wurzelt die Wurzel
Ich aber sprach
Das Licht wirft mich in die Minze
Die Minze läßt mich erblühen im Felsen
Der Fels verwurzelt mich in der Brücke
Und die Brücke dehnt sich aus
Von Meridian
Zu Meridian