Übersetzung aus dem Arabischen:
Günther Orth
Badr Shakir as-Sayyab wird noch viele Generationen lang Stoff für Untersuchungen und Kritik liefern. Je weiter sein Tod zurück liegt, desto deutlicher wird die große Rolle, die seiner Poesie in den fünfziger und sechziger Jahren zukam. (…) Sayyabs Innovation bestand darin, dass er der diskursiven Richtung in der Lyrik neuen Auftrieb gegeben und ihr einen kräftigen Energieschub gebracht hat, indem er seinen Versen eine neuartige Stilistik und originelle Ausdrucksmittel verlieh. Dadurch drang er in psychische Ebenen vor, die die Dichter vor ihm nur von fern berührt hatten. Sayyab gab der arabischen Dichtung eine vorher nicht gekannte dramatische Note, was vielen seiner Gedichten etwas Tragisches gab, und er war fähig, Symbole zu schaffen, die im Arabischen wurzelten, in ihrer Bedeutung jedoch universal waren – eine Fähigkeit, die in der Geschichte der Literatur nur den größten Dichtern eigen war.
Badr Shakir as-Sayyab war es zu verdanken, dass die arabische Dichtung neuen Schwung bekam, und wir werden uns noch lange Zeit damit beschäftigen können, welche Tiefe und Breite er der Lyrik verschafft hat. Sayyab hat die Dichtung aus einer Situation, die am Ende der vierziger Jahre fast als Sackgasse zu bezeichnen war, wieder der zeitgenössischen menschlichen Erfahrung zugeführt. Durch seine Genialität konnte seine Generation nicht nur wieder dichten, sondern konnte sich sprachlich neue Quellen erschließen, die die Phantasie der kommenden Generationen reichlich befruchteten. Abgesehen davon erhielt er dadurch dem Irak eine Vorreiterrolle in der arabischen Dichtung.
Wenn der Dichter stirbt, wird die Legende geboren. Vielleicht hätte Badr Schakir as-Sayyab nicht einmal etwas dagegen gehabt, denn bei großen Dichtern dient die Legende auch dazu, ihre eigentliche Bedeutung aus der Unrast und Verstreutheit erstehen zu lassen, die ihr Leben bestimmt haben. Die Legende kann auch eine Methode sein – ohne dass jemand das beabsichtigt –, die Bedeutsamkeit eines Dichters über die Jahre hinweg aus Einzelheiten zusammenzusetzen und diese in einen klaren Zusammenhang zu stellen.
Der englische Dichter John Keats schreibt in einem seiner Briefe: "Shakespeares Leben ist eine symbolische Geschichte, und seine Schriften sind nichts anderes als die Interpretation dieser Geschichte." Gleiches kann auch über Sayyab gesagt werden. Über sein Leben wissen wir vielleicht Vieles, aber wir müssen es auch in seiner Tiefe begreifen, indem wir Sayyabs innere, seine geistige und psychische Entwicklung anhand seiner Gedichte betrachten, die diese Entwicklung zweifellos beständig kommentieren und erklären. Tun wir dies, so stellen wir fest, dass sein Leben beinahe widerspruchsfrei verlief, obgleich manche bei Sayyab Widersprüche zu erkennen glauben.
Sayyabs Leben wies viel Dramatisches auf: Seine Schulzeit, seine Jugend in Djikour (im Süden des Irak), seine Armut, seine amourösen Abenteuer, sein politisches Engagement, seine Verhaftungen, seine Misserfolge, seine Widerstandsaktionen und schließlich seine schwere Krankheit – alles lässt sich als Steigerungen eines Dramas deuten, in dem er der Mittelpunkt ist. Seine Gedichte gehen damit konform, auch sie steigern sich und nähern sich einem Höhepunkt menschlicher Erfahrung, die Symbol ist für das menschliche Leben: in einer definierten historischen Situation, in einem Vierteljahrhundert voller sich überstürzender Ereignisse – aber auch in einer absoluten Situation, die für die Menschen aller Epochen dieselbe war.
Hier liegt das Geheimnis der Genialität Badrs, das uns und noch viele Generationen nach uns dazu verführen wird, in viele Richtungen zu stöbern, dies und jenes zu interpretieren und anderes zu ersinnen. Ein solches Geheimnis haftet allen großen Literaturschaffenden an und hält sie am Leben, und es eint alle die, die nach ihrem Tod zur Legende wurden.