Arabische Dichtung der Gegenwart mit erläuternden Essays. Schriftenreihe der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Band 21
Herausgegeben von Ilma Rakusa, Mohammed Bennis
Seit den legendären ersten Dichtertreffen im Jemen und der Herbsttagung 2003 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung über "Arabische Poesie" hat sich ein reger und kontinuierlicher Austausch zwischen deutschsprachigen und arabischen Schriftstellern entwickelt. Die hier vorliegende Anthologie versammelt die neuere Dichtung arabischer Länder. Erläuternde Essays und Kommentare führen den Leser in die großartige Fremdheit der arabischen Poesie ein. Eine Dichtung, die ebenso von der Auseinandersetzung mit der Moderne des Westen wie von dem Ringen um kulturelle und politische Identität in der Region geprägt ist.
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Die Minze erblüht in der Minze
Rezension von Regina Keil-Sagawe
WUNSCH
Er träumt/ eine Wolke/ hinter den Wolken zu sein,/ eine Quelle hinter den Quellen,/ ein Stern hinter den Sternen,/ eine Träne hinter den Tränen,/ ein Weg hinter den Wegen,/ eine Sprache hinter den Sprachen./// Er träumt/ eine Frage zu sein/ hinter den Fragen. (Fuad RIKFA)
Hinter die Grenzen der Sprache führt dieser Band, der Einblick in die moderne arabische Lyrik gewährt, in den aktuellen, sehr lebendigen arabisch-deutschen Kulturdialog, der sich in den letzten Jahren zwischen deutschen und arabischen Schriftstellern und Lyrikern entsponnen hat, zwischen Sanaa, Darmstadt und Rabat. „Jeder Morgen dürfte zum Schreiben, nämlich zum Schreiben von Gedichten geeignet sein“, beginnt Mohammed Bennis, Marokkos bedeutendster Lyriker, seinen einleitenden Essay.
Mohammed Bennis versammelt 60 Gedichte aus der Feder von 17 AutorInnen, bekannten und unbekannten, alten und jungen: von Huda Ablan, Ahmed Al-Awadi und Nabilah Al-Zubair, Al-Mahdi Akhrif, Ibtisam A-Mutawakkil und Salwa Al-Neimi, Qassim Haddad, Hassan Najmi, Abdelkarim Tabbal und vielen mehr. Gedichte, die weit entfernt sind von jenem „hochpathetischen, abstrakten Raunen“, auf das man hierzulande, so Joachim Sartorius, fälschlicherweise die arabische Lyrik reduziert. Sondern die, im Gegenteil, auf weite Strecken betörend leicht daherkommen, verblüffend lakonisch, bestürzend aktuell, endgültig angekommen in der Gegenwart:
Farben Ich schreibe nicht in Blau damit das Meer nicht austrocknet Ich schreibe nicht in Grün damit der Garten nicht verdorrt Ich schreibe nicht in Rot damit kein Blut fließt Ich schreibe in Schwarz damit die Nacht vergeht (Huda ABLAN, p. 91) Die Titel sprechen für sich: „Buch der Verluste“, „Trennung“, „Ein freies Wort“, „Krieg“, „Kalte Sonne“, „Fremde“, „Eine weiße Lust“, „Eine Rose aus Staub“ …
Und immer wieder, ganz zeitgenössisch, die Reflexion über Form und Funktion des Gedichts, wie bei Adel Karasholi, dem Syrer aus Leipzig, dem einzigen deutsch schreibenden arabischen Lyriker der Anthologie.
„sage dem gedicht“
I. „ausgeblutet das gedicht/runzelig seine haut die sich spannte einst/ wie auf einer trommel/eine erde das gedicht/ von dolchen zerfurcht und von kehlen“[...]
V. sage dem gedicht/ dem gedicht allein/ sei eine biene/ spring ab und zu/ von lilie zu lilie/ von ufer zu ufer/ von augenblick zu augenblick/ so leicht so unermüdlich (p. 155-156)
„Von Ufer zu Ufer“, vom Bouregreg an die Iser, hat die Texte dieser Anthologie Mustafa Al-Slaiman getragen: Volker Braun, Harald Hartung, Günther Orth, Ilma Rakusa und Joachim Sartorius sind ihm dabei zur Hand gegangen. Denn der Band ist Frucht des jüngsten deutsch-arabischen Dichtertreffens, das im Mai 2005 in Marokko stattfand und dem sich notabene eine weitere Preziose verdankt: Stefan Weidners meditativer Reisebericht “Fez. Sieben Umrundungen“ (Amman Verlag: Zürich 2006). Mit seiner Anthologie moderner arabischer Lyrik „Die Farbe der Ferne“ (München: Beck 2000) wies auch Ilma Rakusa, die Mitherausgeberin, anfänglich den Weg in die Welt arabischer Poesie. Einer Poesie, die noch heute Menschen begeistert und Fußballstadien füllt, die so „vital und allgegenwärtig wie die Gastfreundschaft“ ist, kaum vergleichbar mit hiesigen Gepflogenheiten.
Gedanken zum Stellenwert der Poesie in der arabischen Welt, zu den Grenzen und Möglichkeiten, arabische Literatur überhaupt ins Deutsche zu übersetzen, zu Rezeptionsproblemen und west-östlichen Begegnungen runden den Band in 13 lesenswerten Essays ab.
„Im Weimar Goethes und Herders wußte man mehr von den Metropolen arabischer Kultur und den geistigen Hervorbringungen der Araber, als man sich heute vorstellen kann.“ (Katharina Mommsen)
Man erfährt von der Faszination, die das 18. Jahrhundert für die arabische Literatur empfand. Wird erinnert an Goethe und sein Gedicht Mahomets Gesang. Ahnt, daß es – Stichwort Karikaturenstreit – Alternativen gibt zum westlich-schnöden Umgang mit dem Islam.
Und man wird neugierig auf eine andere Lesart des Islam, genau genommen des Korans. Der den Inbegriff an dichterisch vollendeter Sprache darstellt und doch bis heute einer ansprechenden Übersetzung ins Deutsche harrt. Die nicht „aus der Feder von Islamwissenschaftlern oder von Muslimen“ stammt, sondern von literarisch versierten Übersetzern. Wie das aussehen könnte, führt Stefan Weidner anhand einiger Koranverse vor.
„Was haben Weihrauch, Mond und Libanon miteinander zu tun? Sie sind ‚weiß’ (mask. laban/fem. lebona)“
Nicht minder spannend die Überlegungen zu Etymologie und Wortschatz, die Klaus Reichert anstellt. Zu den semantischen Netzen, die das Wurzelsystem des Arabischen über die Sprache wirft, den Beziehungsgeflechten, die daraus entstehen, zwischen Weihrauch (lebona), Vollmond (lebana) und Libanon (lebanon) zum Beispiel. Die sich im Deutschen natürlich nicht so abbilden lassen und eine beständige Herausforderung an den Übersetzenden sind.
Als „work in progress“ ist denn auch diese Anthologie zu verstehen, als erster Ansatz zu einem „Diwan der Weltpoesie“, als, so nochmals Bennis, und so eine mögliche Deutung des von Karasholi stammenden Titelverses „Gedicht auf dem Weg zum Gedicht“.